Patenschaften können Leben verändern
„Ich bin der einzige Gebildete in meiner Familie. Ohne Patenschaft wäre ich jetzt nicht Lehrer. Ich möchte weiterhin an der Schule von Shanthimalai arbeiten, weil ich etwas zurückgeben will.“ Das sagt Mr Annamalai, der seit 2009 unterrichtet, zuerst Sport an der Oberstufe, seit 2009 Englisch und Social Science an der Primarschule. Er wuchs im Dorf Athyandal gleich gegenüber der Primarschule in einer sehr armen Familie auf. Seine Eltern konnten als Tagelöhner nur unregelmässig arbeiten, ihr Einkommen reichte kaum aus, um die sechsköpfige Familie mit Nahrung zu versorgen. Annamalai besuchte bis zur 6. Klasse die öffentliche Schule, hatte aber Mühe mit dem Lernen, weil ihm die nötige Unterstützung fehlte. 1992 wurde ihm eine der ersten Bildungspatenschaften und damit ein Schulplatz zugesprochen. Zuerst besuchten die ausgewählten Kinder eine Partnerschule des Shanthimalai Trust in Tiruvannamalai, ab 1994 die neu gegründete Sri Ramana Maharshi Schule von Shanthimalai. Um aufzuholen und Englisch zu lernen, wiederholte er zwei Schuljahre. Nach dem Schulabschluss 2001 arbeitete er für zwei Jahre in einem Laden in Chennai, um für seine Schwestern und die Eltern dringend benötigtes Geld zu verdienen. Dank einer Ausbildungspatenschaft des Shanthimalai Trust konnte er ab 2003 das örtliche College besuchen. Er liess sich als Englisch- und Sportlehrer ausbilden. „Abends gab ich während meinem Studium kostenlose Nachhilfe in meinem Dorf. Danach fand ich eine Stelle als Oberstufenlehrer in einer entfernten Stadt, kehrte aber 2009 nach Athyandal zurück, um meine Eltern zu unterstützen. Meine drei Schwestern waren verheiratet und lebten anderswo, meine Eltern kamen allein nicht mehr zurecht.“ Seither lebt Mr. Annamalai wieder in seinem Elternhaus. Sein Vater ist mittlerweile gestorben, seine Mutter wird von ihm mitgetragen. Der 14-jährige Sohn besucht zurzeit die 9. Klasse der SRM-Schule von Shanthimalai. So bewahrheitet sich in Mr. Annamalais Familie der Grundgedanke der Bildungspatenschaften im Rahmen von Hilfe zur Selbsthilfe:
Wenn einem Kind eine gute Ausbildung bis zu einem Berufsabschluss ermöglicht wird, profitiert seine ganze Familie davon, und bestenfalls kann sie sich ohne weitere Hilfe mit guten Perspektiven weiterentwickeln. Hinzu kommt im Fall von Mr. Annamalai ein starkes Bewusstsein und eine spürbare Dankbarkeit für die Wende in seinem Leben: „Ich unterrichte gern an der Primarschule, weil die Kinder offen, direkt und manchmal keck sind. Mit ihren Eltern habe ich viel Kontakt. Und wenn eines nichts zu Essen dabei hat, teile ich mein Essen mit ihm.“
Dieses Prinzip zieht sich als roter Faden durch alle Projekte, die während der letzten 35 Jahre durch den Shantimalai Trust entwickelt wurden. Bereits 1987 gründete der Trust die Shanthimalai Handicraft Society mit dem Ziel, benachteiligten Frauen und Witwen mit wenig Schulbildung eine Ausbildung in einem Kunsthandwerk zu ermöglichen, sodass sie ein Einkommen erwirtschaften konnten. Die indische Gesellschaft ist in den traditionellen, ruralen Gebieten immer noch sehr patriarchalisch geprägt. Frauen werden in der Regel in jungen Jahren in arrangierten Ehen verheiratet und geraten finanziell und gesellschaftlich in eine starke Abhängigkeit von ihren Männern. Bei Verwitwung oder einer Scheidung rutschen die Frauen häufig in bittere Armut. Eine erneute Heirat ist im ländlichen Indien immer noch weitgehend tabu. Tragische Fälle sind junge Frauen, die ihre Männer durch Unfälle oder Alkoholismus verlieren und anschliessend auf sich alleine gestellt sind. Hunderte von Frauen nutzten seither diese Chance und lernten in Dorfzentren beispielsweise zu weben, sticken, flechten, Stoff zu bedrucken oder Karten zu bemalen. Weil das Kunsthandwerk im Gebiet um Tiruvannamalai traditionell wenig verbreitet war, wurden die Techniken hauptsächlichaus dem Norden Indiens, insbesondere aus Gujarat, übernommen. Diese Region ist bekannt für ihre kunstvollen, handgewebten Stoffe und kunsthandwerklichen Produkte wie Statuen und Schmuck. Mitarbeitende reisen auch heute noch einmal im Jahr nach Nordindien, um Inspiration zu sammeln, Kontakte zu knüpfen und Waren einzukaufen.
2001 wagte die Frauen-Kooperative den Schritt in die Selbständigkeit (lesen Sie unter "Erfolgsgeschichten"). In ihrem Laden am Rand der Stadt Tiruvannamalai werden die vielfältigen Produkte zum Verkauf angeboten. Dank einem guten Netzwerk an internationalen Beziehungen und dem grossen Einsatz von Freiwilligen können die attraktiven Fair-Trade-Artikel in Indien, Europa und den USA vertrieben werden (Marktstand in Luzern). Um Hilfe zur Selbsthilfe langfristig umzusetzen, braucht es viel Durchhaltevermögen, Flexibilität und kreative Ideen. So verursachte die Corona-Krise einen Einbruch im Handel, der schwer zu verkraften war. Während der letzten Jahre begannen mehr Frauen, in Teilzeit oder Heimarbeit zu produzieren. Für Mütter von kleinen Kindern oder Werkstudentinnen sind dies geeignete Arbeitsformen.Ganz zentral ist aber weiterhin die Gemeinschaft der Mitarbeitenden, gegenseitige Unterstützung und Beratung in schwierigen Lebenslagen. So werden teilweise Kühe oder einzelne Ziegen an Witwen oder geschiedene Frauen vergeben, um ihnen eine Lebensgrundlage zu ermöglichen. Gelegentlich werden sie auch beim Bau eines Hauses finanziell unterstützt.
Aktuell beschäftigt die Kooperative etwa 110 Personen, wobei nur 10 davon Männer sind. Sieben Personen sind fest angestellt, während die anderen als Heimarbeiterinnen tätig sind. Der Premalaya Handicraft Trust (neuer Name seit 2015) ist weit mehr als ein Arbeitgeber. Dies ist so wichtig im ländlichen Indien, wo Frauen die Familien tragen, aber allzu oft Gewalt ausgesetzt sind. «Wir fühlen uns hier in Sicherheit und zu Hause», sagt Kalai, die seit dem Anfang mitarbeitet und zurzeit die Qualitätskontrolle leitet. «Ich ermutige die Frauen immer, zu lernen und zu arbeiten. So werden sie unabhängiger und gewinnen an Selbstvertrauen.»
Im Jahr 1989 trat Manoharan dem Shanthimalai Trust bei, wo er zunächst für die Erwachsenenbildung und die Abendschulen zuständig war. Die Abendschulen boten in 18 Dörfern elementare Bildung für Kinder und Jugendliche an, die tagsüber zu Hause mitarbeiten mussten. Von 1991 bis 1997 war er in leitender Position an der ambulanten Klinik des Trusts tätig und verantwortete unter anderem die Logistik. Anschliessend wechselte er zur Shanthimalai Handicraft Society. Seit 1997 ist er nun Leiter der Kooperative und verantwortet unter anderem das Personalwesen, den Einkauf und die Weiterentwicklung der Produkte. Zudem engagiert er sich für das Witwenheim und ist in seiner Funktion auch als Sozialarbeiter tätig. Durch sein breites Netzwerk in den Dörfern und der Umgebung von Tiruvannamalai wird Manoharan oftmals gerufen, wenn ältere Frauen obdachlos werden und niemanden haben, der sich um sie kümmert. Er bringt sie dann jeweils ins Witwenheim und kümmert sich um ihre medizinische Versorgung. Bei den jüngeren Witwen und alleinstehenden Frauen sorgt er dafür, dass diese eine Lebensgrundlage haben und sich in der Kooperative ein Einkommen erarbeiten können.